Diese Reise hat mich endlich lernen lassen “NEIN” zu sagen.
Wir waren zu dem Zeitpunkt eigentlich schon zwei Jahre getrennt, aber wie das bei toxischen Beziehungen eben so ist – man verfällt schnell in ein ewiges hin und her, natürlich unter Ausschluss jeglicher Form des Commitments. Ich war jedenfalls ganz eindeutig die Abhängigere von uns beiden und ließ ihn schon von Beginn der Beziehung an immer gewinnen, irgendwann auch in dem überzeugten Glauben, dass er in allem Recht hat und die Dinge die er so tat, die einzig Richtigen. Er hat mich immer klein gehalten, mir eingeredet ich hätte Wahrnehmungsstörungen, ich wäre dumm und sei hässlich.
Während unserer Beziehung sind viele Situationen vorgekommen, die sehr demütigend und einprägend für mich waren. Unser Sex war sehr stark durch ihn dominiert und eigentlich hat es sich mehr wie eine Verpflichtung angefühlt, als dass ich wirklich Lust hatte mit ihm zu schlafen. Ich habe mich sogar auf Anal-Sex mit ihm eingelassen, weil ich dachte, wenn ich ihm alles gebe was er sich wünscht, würde ich diese Beziehung halten können (warum ich das wollte scheint wohl das Phänomen toxischer Beziehungen zu sein, nüchtern betrachtet lässt sich das wohl schwer nachvollziehen). Es war dann aber in Ordnung, und als wir später darüber gesprochen haben, meinte ich das auch zu ihm, allerdings mit dem Zusatz, dass es nicht unbedingt wieder sein muss. Ein paar Wochen später, nach einer Party, beide alkoholisiert, waren wir im Bett und ich hatte ausnahmsweise auch echt Lust mit ihm zu schlafen. Er allerdings lenkte in eine andere Richtung und ich habe mich hingegeben, mehr oder minder freiwillig. Es tat aber so schrecklich weh, dass ich versuchte ihn mehr und mehr von mir wegzudrücken. Ich weinte und schluchzte, in der Hoffnung er würde aufhören, viel mehr noch, verstehen, dass er mir wehtut. Als er fertig war, rollte er sich von mir runter, drehte sich weg und tat so als würde er schlafen. Wir haben nie darüber geredet. Tatsächlich war das für mich aber nicht das schlimmste, was in dieser Beziehung passierte, irgendwie habe ich das so hingenommen. Viel schlimmer waren die verbalen Demütigungen, das mich klein halten und die Psychospielchen. Ich habe angefangen meine eigene Wahrnehmung infrage zu stellen und dachte ich wäre erst genug, wenn ich genug für ihn wäre. Nach 1 1/2 Jahren beendete er die Beziehung. Die Trennung war schrecklich für mich, noch schlimmer aber in Kombination mit der Tatsache, dass ich über alle meine Grenzen für ihn gegangen bin und all die Dinge die ich über mich habe ergehen lassen, umsonst waren. Dieser Exkurs dieser Beziehung gibt vielleicht ein besseres Verständnis für das, was ich eigentlich loswerden wollte.
Zurück also zur eigentlichen Geschichte: Zwei Jahre später, mit vielen On’s und Off’s zwischendurch, sind wir über Silvester nach Paris geflogen, weil sein Vater dort eine Wohnung hatte. Ich habe mich unglaublich auf diesen Trip gefreut, weil er so viel erzählt hat, was wir dort alles tolles machen können. Kaum angekommen, wollte er direkt mit mir schlafen. Es war Nachmittags und ich war überhaupt nicht in Stimmung. Ich hatte ein schlechtes Gefühl und merkte irgendwie direkt bei der Ankunft, dass es ein Fehler war mit ihm hier zu sein. Mir war schnell klar, dass seine Vorstellung dieser 6 Tage meiner absolut widersprachen. Er wollte eigentlich nur in Daddy’s riesiger Bonzen-Wohnung den ganzen Tag Sex haben, überall und das schön ungestört – war ja niemand da. Als wir am Abend baden gingen, weiß ich noch ganz genau, dass ich ihm, mit der Intention dem Sex vielleicht aus dem Weg gehen zu können, einen in der Badewanne runterholte. Später im Bett versuchte er es dann trotzdem, ich wies ihn zurück, er wurde wütend und wir stritten uns. So ging das den nächsten Abend wieder. Und wieder. Bis er am dritten Abend so sauer war, dass er mich aus dem Schlafzimmer geworfen hat, mit den Worten „Wenn du nicht willst dann kannst du auch im Wohnzimmer schlafen!“. Also habe ich meine Decke genommen und habe mich im Wohnzimmer auf die Couch gelegt. Ich weiß, dass klingt total bescheuert, aber ich glaube Leute die Angst vor Clowns haben, können das hier nachvollziehen: Ich grusle mich wahnsinnig vor Kinderliedern, vor allem im Dunkeln. Und das wusste er auch. Das wusste er, weil wir an dem Tag einen Film geguckt haben, in dem ein Kinderlied vorkam und ich nicht nur einmal betonte, wie mega gruselig ich das finde. Long Story short: Nur er hatte über sein Handy Zugriff auf alle in der Wohnung verteilten Sonos Boxen. Als ich gerade eingeschlafen war, tönte aus den Boxen „Probier’s mal mit Gemütlichkeit“ aus dem Dschungelbuch, was vielleicht witzig gemeint war. Darauf folgten Lieder wie „Fuchs du hast die Gans gestohlen“ und als ich schrie, dass er die scheiß Musik ausmachen soll, drehte er lauter. Und lauter. Darauf folgte eine Nachricht via WhatsApp „Letzte Chance!“. In dem Moment wusste ich, dass ich funktionieren muss. Ich war zu diesem Zeitpunkt zwar nicht mehr emotional abhängig von ihm, auf diesem Kurztrip allerdings finanziell. Ich hatte kein Geld, mein Vertrag war ausgelaufen und Internet hatte ich nur im WLAN. Zudem haben mir alle Freunde und auch meine Familie davon abgeraten, mit ihm nach Paris zu fliegen. Also ging ich zurück ins Zimmer und funktionierte. Ich zog mich aus, setzte mich auf ihn drauf und als er dann oben war, habe ich kaum richtig Luft bekommen, weil ich so geweint habe. Auch wenn ich versucht habe es vor ihm zu verstecken – Es war nicht zu übersehen oder zu überhören. Die Tage danach habe ich weiter funktioniert, ich habe alles gemacht was er wollte, war devot. Aber ich war traurig, das passte ihm auch nicht. „Was auch immer ich habe, ich solle es gefälligst nicht zu seinem Problem machen.“ – Das war der Satz der jeden folgenden Streit einläutete. Die letzten drei Tage kamen mir vor wie eine Ewigkeit. Unabhängig von meiner finanziellen Abhängigkeit in dieser Lage habe ich mich gefragt, wie ich das ganze denn angehen würde, sollte ich vorhaben meinen Mund aufzumachen und zu sagen was er mir angetan hat. Was hat er mir denn überhaupt angetan!? Ich hab es doch theoretisch freiwillig gemacht. Und hier kommen wir zu dem entscheidenen Punkt meiner Misere: Gibt es für eine solche Situation einen Namen? Befindet sich das in der Grauzone zwischen Nötigung und Missbrauch? Was war das? Wenn ich mir jedoch einer Sache sicher war, dann, dass ich mir nicht in dieser Sache meine Wahrnehmung von ihm nehmen lassen wollte. Egal was ich gemacht hätte, ob ich es meiner Familie, seiner Familie, der Polizei oder wem auch immer gesagt hätte, es hätte mir den Schmerz, den das Ganze hinterlassen hat, nicht erspart. Es hätte mehr Drama gegeben, noch mehr Schmerz, weil er um jeden Preis dafür gesorgt hätte, dass meine Glaubwürdigkeit angezweifelt wird und ich hätte mich noch verlorener gefühlt. Und gebracht hätte es sowieso nichts, denn es stünde Aussage gegen Aussage. Wie das eben so ist, vor allem in den Grauzonen. Manchmal frage ich mich, ob er das ganze vielleicht wirklich anders wahrgenommen hat, als ich. Und ob ihm überhaupt bewusst ist, wie weit er gegangen ist. Wahrnehmung ist bei sexuellen Übergriffen nämlich ein sehr wichtiger Faktor, der gilt kommuniziert zu werden. Auch wenn es traurig ist, dass ich das erst mit 22 durch eine solche Erfahrung internalisiert habe – Diese Reise hat mich endlich lernen lassen, ‚NEIN‘ zu sagen, und das ganz klar und deutlich. Wenn jemand auch nur in die Nähe meine Grenzen kommt, kommuniziere ich das ganz klar. Wenn das dann zu einem „cringe vibe“ führt, ist das weder meine Schuld, noch mein Problem. Und ich hoffe dass alle, die das hier lesen, die bisher noch keine so klaren Grenzen aufgezeigt haben – bitte, bitte tut es! Es stärkt neben eurer Selbstsicherheit auch euer Gewissen euch selbst gegenüber.