Sie kann sich nicht wehren heute.

Sexuelle Belästigung ist omnipräsent – auch wenn wir oft lange darüber schweigen, weil es uns peinlich ist. Weil wir Angst davor haben, nicht verstanden zu werden. Weil wir Angst haben, dass wir vielleicht doch Selbstschuld daran sind.

Zwei Jahre lang habe ich aus diesen Gründen bestimmte Vorfälle an meinem Arbeitsplatz verschwiegen und nicht einmal meinen engsten Kreisen erzählt. Seit ich 18 Jahre alt bin, arbeite ich in diesem einen angesagten Café in meiner Heimatstadt. Irgendwann wurde ich in eine WhatsApp-Gruppe von den Freunden meiner Chefs eingeladen… Ich dachte, alle meine Kollegen seien da drinnen und ich müsste da eintreten, um „dazuzugehören“. Dem war jedoch nicht so: es waren meine Chefs, seine Freunde (alle im Alter von 30 Jahren) und nur drei oder vier meiner Kollegen in diesem Chat. Wird schon nichts dabei sein, in dieser Gruppe zu sein – dachte ich mir… dann häuften sich die an mich adressierten Kommentare immer mehr.

Zwei Jahre lang erhielt ich solche Kommentare:

„Schick mal Nudes“

„Ich will ne Rolle mit ihr in einem Porno“

„Sie schickt mir immer so harte Dessous Pics“

„Sie kann sich nicht wehren heute“  

„that feeling in your pants when you see pictures of her”

„sie war echt hot gestern“

„mach mal Brücke“

„Bitte eine Strähne von deinem sexuellen lockigen spanischen Haar in meinem Cappo next time bitte“

„Wenn sie mir die Ritze putzt und aus medizinischen Gründen einen stroked“.

Neben solchen Kommentaren, die oft auch während der Arbeitszeit kamen, haben sie auch heimlich Fotos von mir gemacht – z.B. von hinten, wenn ich mich in der Arbeit bückte – und stellten diese in diese Gruppe. Ich traute mich nie auszutreten, egal, wie schlimm die Kommentare waren, weil ich eben Angst vor meinen Chefs und den Konsequenzen hatte. Zudem reagierten selbst meine Kollegen in der Gruppe mit Gelächter und Spott auf diese Kommentare. Ich dachte mir immer wieder – vielleicht übertreibe ich und alle werden mich auslachen und ausschließen oder im schlimmsten Fall werden sie mir erst gar nicht glauben oder mir die Schuld geben?

Im Februar 2020 (nach zwei Jahren) brach ich unter diesem Druck zusammen und erzählte meinen Eltern und meinem Freund alles. Sie wollten, dass ich meine Arbeitgeber natürlich sofort anzeige. Bis heute trage ich einen USB-Stick mit allen (ca. 90) Screenshots von den Chats immer bei mir, für den Fall, dass ich mich (spontan) endlich traue den Stick bei der Polizei abzugeben.

Es war mein erster Aushilfsjob nach dem Schulabschluss und dann auch noch in der Gastronomie – ich dachte sowas müsste jeder ertragen. Die Chefs dieses Cafés sind Brüder im Alter von ca. 30 Jahren. Als ich mich dann nach dem Gespräch mit meinen Eltern bei meinen Chefs beschwerte, bedrohten sie mich und stellten mich als „Sensibelchen“ dar. Sie sagten mir, ich hätte sie enttäuscht, weil wir doch „Freunde“ waren. An dieser Stelle sollte ich erwähnen, dass ich sie nur während der Arbeitszeit und auf den Weihnachtsfeiern sah. Mit Freundschaft oder Humor hatten die Kommentare für mich lang nichts mehr zu tun…

Eine Entschuldigung habe ich von meinen Arbeitgebern sowie von deren Freunden bis heute noch nicht bekommen.

Als alles anfing, war ich 18, heute bin ich 21 und traue mich immer noch nicht, alle Vorfälle anzuzeigen.

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“Ich habe mich klein und hilflos gefühlt”

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War doch nur Spaß.